Ganz so easy ist es nicht, mit der schweren Flasche auf dem Rücken aufzustehen und die Balance zu halten. Das Boot schaukelt auf den sanften Wellen und ich muss mich gut festhalten. Es ist warm in meinem langen Wetsuit, 35 Grad über Wasser, 30 Grad erwarten mich unter seiner Oberfläche.
„Den Fuß links neben die Leiter, den anderen auf die Leiter drauf. Halt deinen Bleigurt mit der einen, deine Maske und den Atemregler mit der anderen fest!“ sagt Trent, und ich watschle unbeholfen zur besagten Leiter. „Blick zum Horizont, dann ein großer Schritt mit dem rechten Fuß!“, ergänzt er. Ich hefte meine Augen auf den Horizont vor mir, das Wasser ist so blau dass es fast kitschig aussieht. Dahinter die helle Sichel eines weißen Strandes, die von dichtem, dunklen Dschungel umgrenzt wird. Ich stecke den Atemregler in den Mund, halte alles fest – und dann springe ich.
Der Tauchgang ist wundervoll.
Koh Rang National Marine Park, etwa 45 Minuten von Koh Mak aus, der kleinen thailändischen Insel auf der ich momentan lebe. Hier darf nicht gefischt werden, die Korallenriffe sind in einem sehr guten Zustand. Dazu gesellen sich heute ein riesiger Schwarm gelber Füsiliere, zwei Schildkröten und ein blau gepunkteter Stachelrochen. Die Sicht ist gut – fünfzehn Meter bestimmt. Vor zwei Wochen habe ich beim Tauchen sogar einen etwa fünf Meter langen Walhai gesehen!
Und während meine Gedanken so kreisen, ich nur das Klicken des Riffs und meine eigenen Blasen hören kann, die ich mit jedem Atemzug ausstoße, vergesse ich ganz, mir Sorgen zu machen. Tauchen ist sorgenfrei. Tauchen macht, dass ich ruhig bin. Tauchen ist gut für meine Seele.
Tauchen mit MS: Die Sorge am Anfang
Ich habe Anfang 2014 meinen Tauchschein in Malaysia gemacht. Zu dem Zeitpunkt galt meine MS Diagnose frisch als gesichert, zwei Wochen bevor es in den Urlaub ging hatte ich mein damaliges Medikament zu nehmen begonnen. Das kam damals mit recht heftigen, bekannten Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen. Ich war völlig eingenommen von dieser neuen Krankheit, dieser neuen Ebene in meinem Leben… MS war damals wirklich ein sehr präsentes Thema für mich. Und in all diese Neuerungen fiel nun mein Wunsch, Tauchen zu lernen. Trotz allem, oder vielleicht sogar wegen!
Inspiriert hatte mich dazu meine Mutter, die selbst seit einigen Jahren taucht. Und naja, ich ja auch drei Wochen Zeit… da muss man ja auch irgendwas machen! Meine Mutter gab mir einen Ratschlag, bevor ich losflog: „Sag denen nicht, dass du MS hast, sonst lassen sie dich nicht tauchen“. “Geht ja gut los mit mir und der MS”, dachte ich. Jetzt muss ich schon anfangen zu lügen, weil ich zu krank bin um die Dinge zu tun, die ich tun will. Mist ey.
Ich machte meinen Open Water Tauchkurs und ja, ich habe gelogen bei der Frage, ob ich irgendeine medizinische Besonderheit aufweise. Ich habe nämlich “nein” angekreuzt. Ich hatte zu große Angst, dass man mich abweisen würde… Bitte mach das nicht nach!! Du kannst damit dich und andere in Gefahr bringen. Sei bitte schlauer als ich!
Generell wird bei der Anmeldung zum Tauchkurs nämlich der Gesundheitszustand abgefragt. Manchmal wird auch von allen Anmeldern ein ärztliches Attest verlangt – das war in meiner Tauchschule nicht der Fall. Ich konnte mich also so „durchmogeln“. Dazu gibt es aber eigentlich gar keinen Grund!!
Also, noch mal:
Wenn du mit MS tauchen möchtest, musst du zuerst deinen Arzt fragen.
Tauchen mit MS ist in vielen Fällen kein Problem (zu den Vorteilen komme ich noch). Dennoch ist es eine Voraussetzung, dass du deinen Arzt über deinen Wunsch informierst. Er kann dir auch ein Attest ausstellen, auf dem steht, dass aus ärztlicher Sicht nichts dagegen spricht, dass du tauchst. Auch ich habe mittlerweile ein solches Attest und nehme es immer mit auf Reisen.
Dein Arzt kann dir auch die Sorge nehmen, wenn du dir unsicher bist, ob du das körperlich packst. Diese Angst ist ganz normal und auch obwohl ich nach wie vor super fit bin (um ehrlich zu sein sogar deutlich fitter als damals, als ich anfing zu tauchen), behalte ich im Hinterkopf, dass ich eben nicht 100% gesund bin.
Das heißt auch, dass ich meinen Tauchstil und mein Verhalten an Land an meine Krankheit anpasse, um mit ihr und mit meinem Körper und meiner Energie im Einklang zu leben. Wie das aussieht bei mir?
– Am Abend vor dem Tauchen gehe ich früh ins Bett, um nicht gerädert und mit einer halben tauben Seite aufzuwachen (passiert wenn ich zu wenig schlafe)
– Ich stelle mich mental darauf ein, dass mir schwindlig werden kann auf dem schaukelnden Boot – ich weiß, dass dieser Schwindel nichts mit meiner MS zu tun hat
– Morgens vor dem Tauchen dehne ich mich, um meine Muskeln zu lockern
– Ich beobachte meine Kräfte ganz genau und versuche, nicht die Heldin zu spielen. Oftmals müssen schwere Dinge wie die Luftflaschen (20kg das Stück!) oder Kisten/Beutel mit dem Tauchequipment getragen werden. Wenn ich spüre, dass ich heute keine Kraft habe, trage ich nur leichte Dinge. Wenn mich deswegen jemand schräg anschaut – sieht ja aus als würde ich mich drücken! – Sage ich, dass ich eine chronische Krankheit habe und deswegen nicht schwer tragen darf.
– Zwischen den Tauchgängen ruhe ich oder mache ein Nickerchen
– Nach dem Tauchen und dem Entladen des Bootes lege ich mich erstmal kurz in die Hängematte und ruhe aus. Da machen 10, 15 Minuten schon echt einen Unterschied. Wenn möglich, wasche ich mein Equipment erst danach ab. Auch hier: Wenn jemand fragt, darf er gern erfahren, warum ich mir diesen „Luxus“ gönne und warum das für mich kein Luxus sondern pure Überlebensstrategie ist 😉
Tauchen mit MS hat viele Vorteile
Eines der Dinge, das die meisten Taucher und Taucherinnen schätzen, ist die Schwerelosigkeit unter Wasser. Wir fliegen quasi, nichts außer ein paar wenigen Kilogramm Blei beschweren uns. Das Ziel beim Tauchen ist es, neutralen Auftrieb zu haben, also quasi weder nach oben zu steigen noch nach unten zu sinken. Das ist natürlich super entlastend für alle Gelenke und Muskeln!
Einen sehr informativen Artikel rund ums Tauchen mit MS findest du hier auf der Seite der DMSG.
Es gibt viele Möglichkeiten, auch mit größeren Beeinträchtigungen der Arme oder Beine tauchen zu gehen! Dafür gibt es solche speziellen Handflossen. Die Bewegung der Beine beim Tauchen ist aber auch für die meisten Menschen mit Spastik ausführbar, da die Beine nicht geknickt werden sondern gestreckt bleiben.
Ein weiterer Aspekt, den ich als sehr Vorteilhaft beim Tauchen mit MS empfinde, ist die Tatsache dass du einfach mal abschalten kannst.
Eine Stunde dauert ein Tauchgang etwa – und in der Zeit ist einfach mal Ruhe. Die ersten Minuten bist du vielleicht aufgeregt, vielleicht schwirren noch Gedanken an die Arbeit oder Zukunftssorgen durch deinen Kopf. Aber bald schon wirst du merken, wie du dich in der herrlichen Unterwasserwelt verlierst. Du wirst merken dass du entspannst, dass dein Körper und dein Geist Ruhe finden. Ich sehe Tauchen durchaus als Meditation an!
Tauchen mit MS? Ja, aber in deinem eigenen Tempo!
Wichtig ist einfach, dass du ganz genau auf dich achtest und auf deinen Körper hörst. Noch mal: Du musst nicht alles ganz genau so machen, wie die Taucher ohne chronische Krankheit das machen! Es ist dein gutes Recht…
– Kürzer zu treten, wenn du nicht mehr kannst
– Eine Pause zu machen – auch unter Wasser! – Wenn du erschöpft bist (das gilt übrigens für alle Taucher, auch gesunde)
– Hilfe zu erfragen (zum Beispiel beim Anlegen des Equipments)
– Einen Tauchgang früher zu beenden
– Länger zu brauchen beim Anlegen deiner Ausrüstung als die anderen
– Dein Equipment nicht selbst zu tragen sondern dir helfen zu lassen, wenn du zu schwach oder eingeschränkt bist.
– Die Tauchbasis zu wechseln, wenn man dir mit Unverständnis begegnet
Und apropos Tauchbasis:
Die Tauchercommunity ist manchmal ein bisschen sehr cool, die Leute können einen durchaus auch mal ein wenig einschüchtern. Ich habe mit den Koh Mak Divers auf meiner kleinen Insel genau die Tauchbasis gefunden, mit der ich mich zu 100% wohl fühle, und werde hier auch meinen Rescue Diver machen. Hier ist die Stimmung freundlich und nicht arrogant.
Hier bekomme ich auch auf die zehnte Frage noch eine Antwort, die mir nicht das Gefühl gibt, absolut blöde zu sein. Hier wird sich Zeit genommen, alles zu erklären, und es entsteht keine Hektik. Momentan bin ich Advanced Diver mit etwa 50 Tauchgängen, aber es kommen stetig mehr hinzu und ich spüre ganz genau, dass das absolut das richtige ist. An dieser Stelle also auch Dank an das Team, das mich so warmherzig aufgenommen hat, und natürlich an Trent der mich dazu anspornt, eine immer bessere Taucherin zu werden <3
Für Menschen mit und ohne körperliche oder geistige Behinderung und Menschen mit physischen und psychischen Erkrankungen gibt es die International Association of Handicapped Divers (IAHD). Dieser Verein hat spezielle Tauchkurse für Menschen mit besonderen Bedürfnissen entwickelt. Schau also unbedingt mal auf der Website vorbei, wenn du zB im Rolli sitzt und dich für das Thema Tauchen mit MS interessierst. Dazu empfehle ich dir auch dieses Buch “Tauchen mit Handicap” von Monika Wenninger. Bitte denk daran: Es gibt IMMER einen Weg!
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Ist Tauchen mit MS für dich ein Thema, oder machst du einen anderen Extremsport? Hast du schon Taucherfahrungen, und wie hat die MS deine Leidenschaft beeinflusst? Lass uns darüber sprechen, hinterlass gerne ein Kommentar!
*Dieser Text enthält Affiliate – Links! Das heißt, dass ich eine kleine Provision bekomme, wenn du ein von mir empfohlenes Produkt kaufst. Für dich ändert sich am Kaufpreis rein gar nichts! Sieh es einfach als kleines Dankeschön von dir an mich an 🙂 Wenn du das doof findest, kannst du das Produkt natürlich auch ganz einfach selbst bei Amazon suchen. No Problemo. Wenn du es über den Link bestellst – Danke! So hilfst du mir dabei, noch mehr Liebe, Zeit und Herzblut in chronisch fabelhaft zu stecken!
Hallo Samira,
Habe gerade deinen Bloc übers Tauchen gelesen und muss auch ein bisschen was schreiben:
Ich heiße übrigens Birgit, bin 52, habe seit meinem 18. Lebensjahr MS und bin leidenschaftliche Taucherin seit 2005. Habe 410 Tauchgänge weltweit und habe noch vieles auf meiner persönlichen Taucherliste offen.
Ich habe damals meinen Mann überredet mit mir den Tauchschein zu machen (er wollte anfangs nicht, jetzt hat er mehr TG als ich).
Dieses Jahr geht’s wahrscheinlich (zum 13.x) nach Ägypten und im Herbst evtl. nochmal Mexiko, Yukatan + Cenoten. Der Tauchschein war für mich eines meiner besten Entscheidungen die ich noch nie bereut habe! Besonders seitdem ich andere Sportarten (skifahren, eislaufen, wandern, bogenschießen) nicht mehr ausüben kann seitdem ich progredient bin (seit ca. 5 Jahren). Tauchen geht aber nach wie vor sehr gut und ich hoffe dass es noch lange so bleibt. Natürlich schaue ich in letzter Zeit nach “behindertenfreundlichen“ Tauchbasen, die es aber weltweit gibt. Ich brauche also auf nichts verzichten.
Liebe Samira das war’s mal fürs Erste. Wünsche dir auch noch alles Gute!
Liebe Grüße Birgit 👌👍
Liebe Birgit, das ist so wunderbar!! Ich freue mich, dass du das Tauchen nach wie vor genießen kannst und wünsche dir noch viele viele weitere unglaublich Erlebnisse unter Wasser! deine Samira
Hallo Samira,
ich finde es toll das Du Dich so für das Tauchen begeisterst und anderen mit Deinem Blog Mut machst.
Allerdings verstehe ich die Diskrepanz zwischen Deiner Leistungseinschränkung und der damit einhergehenden schnellen Erschöpfung versus dem Wunsch den Rescue Diver zu machen nicht. Meinst Du nicht, dass Du Dir da zuviel zumutest und anderen durch ein nicht erfüllbares Versprechen die Sinnhaftigkeit der Ausbildung suggerierst?
Trotzdem wünsche ich Dir weiterhin viel Spaß am Tauchsport und allzeit gut Luft.
Vielleicht lern man sich mal persönlich kennen 😉
Andreas
Hallo Andreas,
naja, ich denke schon dass die Ausbildung Sinn hat – auch wenn ich MS habe und ggf. mal erschöpft bin.
Diese Erschöpfung hält mich ja nicht davon ab, in einem Notfall richtig zu handeln, da sie mich körperlich nicht in dem Maße behindert, als dass ich mich gar nicht mehr bewegen könnte. ich bin dann halt erschöpft, aber jemandem das Leben retten hat in diesem Fall selbstverständlich Vorrang und ja, dafür gehe ich dann auch mal ans Limit meiner Kräfte. In so einem Moment schießt der Körper ja mit Adrenalin, das auch gegen die stärkste Fatigue ankommt, da bin ich mir sicher.
Die Ausbildung wird aber, und da gebe ich dir recht, sicherlich sehr anstrengend. Die Tauchschule weiß bescheid, dass ich MS habe, und ich werde gut auf mich achtgeben!
liebe grüße,
Samira
Hallo Samira,
bei einer Tiefe von 5-7 m bekomme ich unerträgliche Kopfschmerzen, hast du das auch?
Liebe Ulrike, nein, das habe ich nicht! Ich würde das auf jeden Fall mal ärztlich abklären lassen und es bis dahin langsam angehen.
alles Gute dir!