So findest du den Weg aus deinen dunkelsten (MS-)Gedanken

Manchmal muss man vielleicht den Artikel schreiben, den man selbst gerade am meisten braucht. Also schreibe ich heute einen Artikel nicht nur für dich, sondern auch für mich. Ich schreibe ihn für uns und du bist herzlich dazu eingeladen, mich neben dir zu sehen – nicht als die, die dir diktiert warum was wie ist, sondern als Mensch mit Selbstzweifeln, mit Ängsten und manchmal mit mehr Wut im Bauch, als es gut tut.

Ja, heute muss ich es lesen um zu begreifen, dass es stimmt: 

Du bist perfekt, liebe Lesende. Perfekt so wie du bist. Mit MS. Und allem drum und dran. Und ich werde dir heute ganz genau aufzeigen, warum.

Manchmal stelle ich mir mein Leben vor wie eine Wippe. Da gibt es Tage, an denen schwebe ich mit dem Kopf in der Luft, mit dem Herzen im Himmel und hab das Gefühl, ich könnte mir die ganze verdammte Welt auf einmal unter den Nagel reißen. Leichte Tage, Tage voll Sonnenschein. Tage körperlicher Unbeschwertheit, ohne Symptomatik, ohne Stress, ohne Streit. Tage, endlos wie die Sommerferien es immer schienen.  Ja, an diesen Tagen herrschen bei mir Sommerferien im Kopf.

Ich würde am liebsten immer in dieser Stimmung verweilen. Würde immer ganz oben auf der Welle meines Lebens surfen, immer oben sein auf der Wippe meiner Gefühle. Es ist wie eine Sucht, und ein bisschen bockig auch: Ich habe das verdammt noch mal verdient, hier oben zu sein! Immerhin war das Leben scheiße genug zu mir, mir eine Autoimmunkrankheit zu verpassen. Hab ich mein Soll damit nicht erfüllt? Ist das nicht schlimm genug? 

Schmerzen bei MS
Picture by Erik Schütz // GoodBY

Und dann antwortet das Leben mir auf diese Fragen. Und die Antwort lautet: Nein.

Dann rauscht mein Leben bergab, rauscht meine Stimmung in den Keller. Meine Wippe stürzt hinunter und ich schlage schmerzhaft unten auf. Aua. Nein sagt das Leben, nein Samira, nur weil du eine Autoimmunkrankheit hast, heißt das nicht, dass ab nun alles andere laufen wird, weil du ja dein Stückchen Mist vom Leben bereits so früh vorgesetzt bekommen hat. Das Leben sagt Nein, lacht mir ins Gesicht, zeigt mir einen Vogel und hüpft davon, während ich mich mit aller Kraft an alles klammere, was mir in diesem Moment einfällt.

An solchen Tagen kommen Zweifel. An solchen Tagen nagen meine Ängste an meiner Seele, über die ich mich schützend werfe wie über ein zitterndes Kind. Ich versuche meine Seele zu schützen vor der Lähmung der Angst, vor der Unsicherheit und der Wut, die in mir dann hochkocht.

Wut ist ein gutes Stichwort.

Denn wenn ich dort unten bin, dann habe ich nicht nur Angst: Dann koche ich. Dann sprühe ich giftige Funken. Kommt mir nicht zu nahe, ihr da draußen. Ihr verbrennt euch an mir! Dann lodert meine Seele in blutroten Flammen und ich beiße und kratze und schreie. Innerlich. Manchmal auch äußerlich.

Oh, kennst du sie, diese unbändige, alles verzehrende Wut? Kochst auch du manchmal innerlich? Sag ja, bitte, lass mich nicht hängen. Bitte sag mir dass das alles okay ist. Dass Wut auch ein Teil der Lebenswippe ist, dass Wut die andere Seite der Medaille ist, die Seite die die Öffentlichkeit nie sieht. Bitte versteh mich doch.

Blickst auch du an diesen Tagen manchmal in den Spiegel und siehst dort eine Person, die dir fremd ist?

Wir wollen schön sein, rein sein, gut sein. Doch manchmal gelingt uns das nicht. Dann blicken wir in zwei hohle Augen, in ein blasses Gesicht da im Spiegel. Wir können uns die Angst und die Unsicherheit förmlich ansehen. Sie steht uns nicht, und das macht uns nur noch wütender.

Wir sehen an diesen Tagen nur das schlechte: Wir sehen Pölsterchen hier und dort, die angetrieben vom Rückenwind unseres Selbsthasses aufgeblasen werden zu schier gigantischer Größe. Vielleicht sehen wir Falten, die unsere Mundwinkel betonen, die unser Gesicht noch böser wirken lassen. Die unsre Stirn in zwei zornige Hälften teilen. Ja, an diesen Tagen hassen wir unseren Spiegel, weil er uns nichts zeigt, was wir lieben können.

Denken wir. Denkst du. Denke ich. 

Wenn die Wippe unseres Lebens uns mit der Nase in den Dreck stößt, der da unter der Fröhlichkeit lauert, dann brauchen wir ein Gegengift. Ein Mittel dass uns dabei hilft, nicht aufzugeben. Etwas, das uns aufweckt, dass uns zuraunt: „Das geht vorbei!“. Das ist an diesen Tagen so wertvoll. Es ist überlebenswichtig. Und ich möchte heute ein solches Gegengift für uns brauen. Ich möchte uns da beide zusammen rausziehen. 

mein Partner hat MS

Als erstes sollten wir uns ansehen, warum wir uns heute so unendlich mies fühlen.

Ist es der Körper, der streikt? Sind es Schmerzen? Schmerzen und Verspannungen, die unsere Seele vergiften. Die uns so unendlich hilflos machen. Ist es das? Oder haben wir vielleicht Angst vor der Zukunft? Hast du Zukunftsängste? Weil du nicht weißt, wie es weitergehen wird. Weil du nicht weißt wie du das jemals schaffen sollst.

Vielleicht arbeitest du auch gerade daran, die Krankheit zu akzeptieren? Das ist schwer. Das ist eine der schwersten Arbeiten, die du in deinem Leben erledigen wirst. Und eine der wichtigsten. Vielleicht sind die wichtigsten Sachen immer die schwersten. Und vielleicht ist nichts wichtiges wirklich leicht.

Ich möchte, dass wir uns nun darauf einigen, dass das okay ist. Alles was da ist, ist gerade einfach erstmal okay. Die Angst. Die Wut. Die Selbstzweifel. Es ist okay. Wenn wir diese Gefühle unterdrücken, dann gehen sie nämlich nicht weg. Höchstens kurz. Gedanken kommen so lange immer und immer wieder auf, bis wir sie uns ansehen und uns mit ihnen auseinandersetzen. Diese dunklen Gedanken in uns kommen immer wieder auf, weil es in ihrer Natur liegt, gedacht werden zu wollen. Alles was wir ablehnen wird wiederkehren. Nur was wir annehmen können wir loslassen!

An Tagen, in denen ich mich umperfekt und klein und schrecklich fühle, versuche ich also, meinen Fokus umzulegen.

Ich versuche mich zu behandeln wie ein Kind: Mit Nachsicht und Liebe. Denn sind wir nicht alle irgendwo immer mal wieder auch einfach nur Kind? Also schaue ich sie mir an – die kleine Samira – und ich sehe sie ganz genau. Sie rührt mich zu Tränen. Ich verstehe, warum da Angst ist. Und Wut. Und das mit der Unsicherheit ist wirklich auch kein Wunder (müssen wir an der Stelle nicht vertiefen). Aber ja, ich verstehe es. 

Picture by Erik Schütz // GoodBY

Ich lade dich dazu ein, das selbe zu tun: Versuche, liebevoll auf deine Sorgen zu blicken. Auf dich selbst. Auf dein leidendes, zitterndes selbst.

Es ist wichtig, uns immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass wir selbst die Realität schaffen, in der wir leben. Du bist die Architektin deiner eigenen Wahrheit! Jeder Tag ist so, wie du ihn baust. Und ja, klar, die MS hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Aber DU bist ja die Person, die auf das reagiert, was sie dir serviert, die MS! Und schon stehst du wieder in der Verantwortung. Schon wieder bist du dafür verantwortlich, was in deiner Rübe passiert. Sorry… obwohl. Nee, nicht sorry. 

Denn das ist die Wahrheit!

Ich möchte dich heute dazu einladen, mit mir gemeinsam zu verstehen, dass das „unten“ bei der Wippe genauso dazugehört wie das „oben“. Wippen macht nur Spaß, wenn es sowohl Höhen als auch Tiefen gibt. Leben macht nur Spaß, wenn es Höhen und Tiefen gibt. DAS ist das, was das Leben ist! Und du bist das, was du aus diesen Dingen baust. Deine Realität erschaffst du selbst in deinen Reaktionen auf die Höhen und Tiefen. Deinen Charakter. Deine Identität. 

Ich möchte dich heute an die Hand nehmen, und ich möchte von dir an die Hand genommen werden.

Lass uns gemeinsam vor einen Spiegel treten und uns tief ins eigene Gesicht schauen. Ich möchte zu mir und zu dir sagen, dass wir vollkommen sind. Dass wir alles, aber wirklich ALLES bereits in uns tragen, um glücklich zu sein. Um zufrieden zu sein. Um ein Leben zu bauen, in dem wir gut leben können.

Diese Podcastfolge von Laura Marina Seiler wirkt dabei wie ein Express Booster für meine Selbstliebe und meinen Glauben daran, dass alles sich zum Guten wenden wird:

Wir tragen all die Liebe in uns, die wir brauchen um zu wissen, dass wir liebenswert sind.

Wir trage so viel Verständnis und Mitgefühl in uns. Wir müssen nur endlich anfangen, es auch auf uns selbst anzuwenden. Wir müssen lernen zu verstehen, dass es immer weitergehen wird. Und dass der Weg zwangsläufig auch wieder nach oben führen wird… und vor allem, dass wir in der Hand haben, wie schnell das geht.

Ich möchte dir heute sagen – und mir – dass wir perfekt sind. Unendlich perfekt. Einzigartig und klug und lustig und so liebenswert, dass es mir das Herz zerreißt. Du hast alles verdient: Zuneigung. Zärtlichkeit. Liebe. Verständnis. Und doch werden diese wunderbaren Dinge erst dann zu dir kommen, wirst du sie erst dann wirklich annehmen können, wenn du sie dir zuerst selbst gibst. Und ich mir. Wir können nur annehmen und weitergeben, was wir selbst als unsere Realität verinnerlichen.

Ms Blog
Pic by Hassan Ouajbir via pexels.com

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