Wasser Marsch: Ein Plädoyer fürs Weinen (inkl. meinen 10 Top-Heul-Songs)

Gerade kam mein Buch „Und morgen die Welt“, das Anfang Juni 2019 bei Eden Books erscheint, aus einer der vielen Korrekturschleifen zurück. Ich las es mir zum x-ten mal durch (puh!) und korrigierte… und doch hinterließen die Zeilen bei mir unter anderem diesen einen ganz starken Eindruck:

Wow, was bin ich eine Heulsuse!

Irgendwie steht dort immer wieder Tränen hier, Schluchzen da. Das veranlasste mich zum Nachdenken: Weine ich wirklich viel? Und wenn ja: Was spräche dagegen? Gleich darauf fielen meine Bedenken auf weichen Grund, denn mir wurde klar: NICHTS spricht dagegen, viel zu weinen. Weinen ist großartig. Und deswegen gibt es heute von mir ein Plädoyer für eine der schönsten, befreiendsten und by the way unpeinlichsten Dinge der Welt: Das Weinen.

Wir kommen als zarte, rosige, schreiende Babies mit Dreifachkinn auf die Welt. Gucken uns kurz um… Und dann wir erstmal ne runde geheult. Gebrüllt. Zumindest meistens, bei so vielen Geburten war ich nun auch nicht dabei 😉 Wir kommen also da raus aus unserer Kuschelkammer und weinen, und wie die Wochen und Monate so ins Land gehen, ist und bleibt das Weinen eines unserer wichtigsten Kommunikationsmittel. 

Wir weinen, weil wir Hunger haben. Wir weinen, weil wir Angst haben. Wir weinen, weil wir Schmerzen haben.

Mama und Papa bleibt es überlassen, herauszufinden, warum genau Winzling jetzt schon wieder brüllt. Und dann werden wir älter, wir lernen sprechen, lernen, uns auf andere Weise als durch Tränen zu verständigen. Und irgendwie so in dem Alter – mit drei, vier wohl – kippt die ganze Sache mit dem Weinen. Ich erinnere mich selbst nur zu gut daran, wie es immer öfters hieß: „Wein doch nicht!“. Oder: „Du bist doch kein kleines Mädchen mehr“. Mit vier Jahren, wohl gemerkt. Was bitte war ich mit vier, wenn kein kleines Mädchen?!

Selma Blair Multiple Sklerose
Picture by Erik Schütz

Plötzlich wurde es also unschicklich, kindisch und unpassend, zu weinen. Und was die Eltern und beibrachten, das trugen wir in die Kindergärten und auf den Schulhof: „Helsuse!“. „Du weinst als wärest du ein Baby!“. Solche Sätze kamen also auch immer häufiger von Altersgenossen, und natürlich lernten wir alle schnell (man will sich ja anpassen). Weinen wurde von einem natürlichen Ausdruck bestimmter Gefühle zu etwas schwachem. Etwas peinlichem. Das macht man nicht – ob als Junge oder Mädchen. Wahrscheinlich noch weniger, wenn man ein Junge ist. Man will ja sich, man will die Eltern nicht bloßstellen. Auch noch in der Öffentlichkeit, also sowas.

Tränen gehörten heruntergeschluckt. 

Ich muss dazu sagen, dass ich meinen Hang zum weinen nie abgelegt habe und es mich immer große Mühe gekostet hat, meine Tränen zu unterdrücken. Menschen, die wie ich sehr emotional sind, werden davon ein Lied singen können. 

Ich könnte eigentlich ständig heulen. Wenn mich etwas aufregt. Wenn ich das Gefühl habe, dass jemand mich ungerecht behandelt. Wenn ich sehe, wie Tiere misshandelt werden. Wenn ich über den Klimawandel nachdenke. Wenn man mir auf der Straße hinterherpfeift und damit macht, dass ich mich unglaublich unwohl fühle. Wenn ich eines der Lider weiter unten höre (siehe meine Playlist). Wenn ich jemandem mal so richtig die Meinung geige. Wenn mein Freund besonders lieb zu mir ist. Wenn ich daran denke, wo ich noch vor fünf, vor drei Jahren und vor einem Jahr stand, auf dem Weg dahin, meine Krankheit zu akzeptieren.

Oh je, wenn ich so darüber nachdenke, bräuchte ich eigentlich einen extra Wassertank, der an meiner Seite angebracht ist, um all die Tränen weinen zu können, nach denen es mich in meinem ganz normalen Alltag gelüstet. Und ich sollte mir wohl bald mal einen solchen anschaffen, denn es hat eine große Veränderung stattgefunden:

Ich habe angefangen, das Weinen zu genießen.

Ja, du liest richtig. Denn weinen fetzt. Übelst. Denk mal für mich zurück an deinen letzten richtigen Heulanfall. Bei manchen wird das jetzt bis zurück in die Kindheit reichen, andere haben sich das letzte mal vor ein paar Tagen Luft gemacht. Denk also an diesen Heulanfall (gar nicht so sehr daran, was ihn ausgelöst hat). Und jetzt denk an das Gefühl, dass du danach hattest. Als das Schluchzen vorbei war. Diese Erleichterung? Diese Ruhe, die sich in einem ausbreitet? So eine Art wohliger Erschöpfung, die sich in einem ausbreitet wie nach dem Sex oder nach dem Sport? Ja. Genau das meine ich, dieses Gefühl. Das ist doch der Hammer!

Natürlich sind Tränen nicht gleich tränen. Um einen geliebten Menschen – sich selbst zum Beispiel! – Zu weinen, das ist nicht immer erfreulich. Das tut weh. Und auch wenn man wochenlang durchweint, weist das eher auf eine Depression hin als alles andere (meinen Artikel über Psychotherapie bei MS möchte ich dir dafür sehr ans Herz legen!). ABER: Der Nachhall einer guten, positiv konnotierten, befreienden Heulsession kann etwas wunderbares sein. Wenn du das zulässt. Wenn du aufhörst, diese Tränen als etwas negatives zu betrachten. 

Wie wäre es, wenn du dir vorstellst, mit dem weinen deiner Tränen würdest du wieder Platz in deinem Kopf schaffen? Als wöge jede Träne zehn Kilo, und mit dem weinen würfest du diesen Ballast ab. Es sind deine Tränen, und du selbst kannst festlegen, was sie für dich sind. Und was sie nicht sind.

by pexels.com
Wasser Marsch – weil es befreiend ist!

Für mich sind Tränen keine Schande mehr. Sie sind nicht peinlich, sie sind nicht schwach, sie sind nicht unpassend. 

Ich will verdammt noch mal so viel weinen dürfen, wie ich es gerade brauche. Ich finde, wir alle sollten mehr weinen! Vor Freude, vor Wut, vor Trauer, vor Ungläubigkeit, vor Ergriffenheit. Leg die Waffen nieder. Reiß die Zäune ein. Egal, ob du eine Frau oder ein Mann bist. Weinen ist egal, was zwischen deinen Beinen baumelt (ist so!). Es ist so, so befreiend, nicht mehr alles zusammenhalten zu müssen. Es ist ein GESCHENK AN DICH SELBST. Es ist eine Seelenmassage, es ist Sauna für dein Hirn. Es ist eine gute Idee. 

Als Einstieg kannst du einen stillen Ort wählen, an dem du ungestört bist. Leg oder setz dich bequem hin. Vielleicht magst du dir ein paar Bilder oder Fotos mitnehmen: Von dir als Kind, von einem geliebten Menschen, von Orten die dir etwas bedeuten und die etwas in dir bewegen. 

Und was immer hilft, um den Damm erstmal zu brechen: Musik. Musik ist der Schlüssel, die Magie, das Werkzeug mit dem selbst die dickste Betonschicht aufbricht. Ich selbst habe eine ganze Playlist von Songs, die bei mir unter Garantie für Tränen sorgen… Und du hast bestimmt auch solche Lieder, oder? Bei denen du einfach nicht mehr an dich halten kannst?

Falls nicht, hier ein paar Inspirationen meiner Top-Heul-Songs (und ja, bei der Auswahl gings schon wieder los bei mir 😉 )

Ich möchte, dass du weißt, dass weinen therapeutisch wirken kann. Das belegen zahlreiche Studien. Die Zusammensetzung emotionaler Tränen enthält unter anderem Stresshormone. Ist das nicht irre? Du kannst also wirklich den Stress rausheulen! Und das alles gratis, wann immer du es brauchst, und direkt bei dir zu Hause. Klingt gut, oder?

Steh zu deinen Tränen. Genieße deine Tränen. Tu dir etwas gutes, und fang an, weinen nicht mehr als Schwäche zu begreifen. Weinen ist stark, weil es stark ist, zu dir zu stehen. Du musst einfach nur damit anfangen, und es wir deinen Alltag bedeutend verbessern. Echt jetzt.

** Headerbild von ZunZun // Pexels.com **

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Wie stehst du zum Thema Weinen? Hast du seit der Diagnose angefangen, mehr zu weinen? Schämst du dich für deine Tränen oder heißt du sie auch schon willkommen? Ich freu mich auf dein Feedback!

Mindful mit MS
Yoga mit MS

4 comments

  1. Das ist so wahr…weinen soll keine Schwäche sein.
    Wenn ich mal ein Heulkrampf bekomme, dann lass ich es laufen. Es tut so gut und befreit enorm.
    Letztens habe ich Sport gemacht oder wollte es, aber mit meiner playlist ging es nach hinten los. Irgendwie hatte es mich dann emotional gepackt und Sport war vergessen. Finde es auch wichtig vor meinem Partner mal zu weinen, um gerade meine Gefühlslage zu zeigen und er umarmt mich und gibt mir dann so viele Wärme zurück. Und ich weiß, ich bin nicht alleine.

  2. Wenn ich aus dem Drama, dem tiefsten Tal der Tränen 😢 wieder empor steige in geistige Himmelshõhen, dann ist das folgende Lachen lauthals Schallend und fűhrt zum Gefühl der Glűckseeligkeit. Ohne den Salzsee der Tränen wäre das nicht geschehen.
    Wer nicht mehr weinen kann ist vielleicht auch nicht fähig herzhaft zu lachen 😂
    Is nur schade, dass wir mit den Tränen meist alleine sind. 💧
    🎶 🎶 🎶 🎶 🎶 🎶
    Und dann kommen mir vor lauter lauthalsigem Lachen schon wieder die Tränen. 🎶
    Und das ist ein großartiges Gefühl.
    Ganz große Liebe 😍

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