Das Leben mit MS bringt vor allem eines mit sich: Unvorhersehbarkeit. Wir wissen nicht mehr, was wann passieren wird (und glauben meistens davor hätten wir das gewusst, Spoiler: war davor auch nicht anders 😉 ). Aber: Natürlich kommt mit der Krankheit noch eine große Portion Unsicherheit dazu. Denn wir sind nunmal krank, wir haben nun mal MS – und das heißt, dass unser Leben nun ganz deutlich eine Veränderung einfordert.
Zuerst muss ich sagen, dass es für mich vor allem einfach eine Weile gedauert hat, bis mein Leben mit MS sich wieder leichter anfühlte. Bis die Dinge (zumindest meistens) wieder liefen. Ich stand am Anfang nicht weniger verängstigt und besorgt da als du und dachte, dass ich das niemals packen würde. Aber die gute Neuigkeit ist: wenn ich das schaffen kann, kannst du es auch. Pinky Promise. Und zwar auf deine ganz eigene Art. Es gibt für den Weg zu einem selbstbestimmten, aktiven Alltag mit MS ein paar große und kleine Kniffe und Tricks, modernerweise auch „Hacks“ genannt, die ich dir heute vorstellen möchte.
Denk daran: Nicht alles funktioniert für jeden Menschen, das ist ganz klar. Spür doch mal in dich rein und überlege, was sich für dich gut anfühlt. Probiere es aus und beobachte. Gib deiner neuen Gewohnheit Zeit – meistens brauchen wir einige Wochen, bevor wir neue Angewohnheiten entwickeln und Dinge in unsere feste Tagesroutine eingehen. Und bezüglich des Zeitfaktors: Ja, diese Dinge werden mal mehr, mal weniger Zeit in deinem Alltag in Anspruch nehmen. Und ja, ich weiß, diese zeit zu schaffen scheint manchmal komplizierter als ein Flug zum Mars. Aber, und jetzt kommt das große ABER: Diese Zeit ist WICHTIG. Sie ist genauso wichtig, wenn nicht nicht wichtiger, wie das für-andere-da-sein. Schau mal welche Zeitfresser (Fernsehen, Handy spielen etc) du gegen eine solche Selfcare Routine ersetzen kannst. Vereinbare diese Zeit fest mit dir und für dich. Es ist DEIN Leben mit MS, das davon profistieren kann!
1. Gehe früh zu Bett
Das ist ein Hack, der auch mir manchmal sehr schwer fällt. Fakt ist aber: Wer unausgeruht ist, dem geht es noch schlechter. An Tagen, an denen ich übermüdet bin, merke ich richtig, wie meine Symptome sich verstärken und meine Belastbarkeit gleich null ist. 10 Uhr abends ist dabei eine gute Richtlinie. Und ja, man kann sich daran gewöhnen. Und dann sogar etwas früher aufstehen oder aber die zwei extra Stunden Schlaf genießen (wobei ich immer weiteres wählen würde :P)
2. Schreibe Tagebuch
„Journaling“ ist in aller Munde, es ist ein Trend – und ein ziemlich toller! Ich möchte diese Routine nicht mehr missen, und sie fällt mir deutlich leichter als zB jeden Tag diszipliniert zu meditieren. Vor allem wenn du Probleme mit dem Einschlafen und Durchschlafen hast, kann ein Tagebuch ein wahres Wundermittel sein! Wenn dich kreisende Gedanken oft wachhalten, und du (trotz dass du brav um 10 im Bett liegst) bis 2 Uhr morgens grübelst, dann versuche mal das: Stehe auf, mach das Licht an. Nimm ein Buch oder ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand. Überlege: Was ist es, worüber ich so nachgrüble? Bringe diese Gedanken ohne Wertung und ohne jeglichen Anspruch an die Formulierung aufs Papier. Versichere deinem besorgten Geist, dass du dich morgen um diese Gedanken kümmern wirst – sie stehen ja nun da auf dem Papier, du wirst sie nicht vergessen. Nun aber ist es morgens um 2, und heute Nacht wirst du keines dieser Probleme mehr lösen.
3. Koche täglich frisch
Ernährung spielt eine Rolle in einer ganzheitlichen MS Behandlung, das dürfte mittlerweile bei den meisten angekommen sein. Was aber oft viel zu kurz kommt, is das selbst kochen. Weil man es nicht kann. Weil man keine Zeit hat. Weil man zu faul ist. Und dann landet eben doch die TK Pizza im Ofen oder die Bolognese Lasagne in der Mikrowelle. Ich sage: Tu’s nicht! Investiere in dich, in deine Gesundheit und in dein Wohlbefinden und lerne kochen. Die Zeit und das Geld, das du vermeintlich mit Fertiglebensmitteln sparst, wirst du am Ende doppelt und Dreifach investieren müssen, wenn es gesundheitlich nicht besser geht. Ich will dir keine Angst machen, gar nicht, aber doch einen liebevollen Schulbücher geben: Kochen ist cool! Kochen fetzt! Und du kannst selbst entscheiden, wie die Zucker, Salz, Fett etc in deinen Speisen landet. Starte mit einem einfachen Kochbuch oder mach einen Kochkurs, und dann genieße die Saisonale frische Vielfalt (PS: jeden Tag Nudeln machen zählt nicht). Mittlerweile gibt es sogar Dienste, die Lebensmittel liefern, sodass der Einkauf bequem zu dir nach Haus gebracht wird. Worauf wartest du?
4. Beschäftige dich mit deiner Psyche
Für mich war das der Punkt, an dem sich mein Leben mit MS komplett änderte – und zwar zum besseren. Nicht sofort (erstmal ging es ganz schön bergab), aber langfristig gesehen war eine Psychotherapie das beste, was mir hätte passieren können. Wir alle haben unser Päckchen zu tragen – und du kannst selbst dafür sorgen, dass deines leichter wird. Glaub mir, du kannst nur gewinnen wenn du dich dazu entscheidest, auch deine mentale Gesundheit in Angriff zu nehmen! Wie du eine Psychotherapie beantragst und auch einen Platz bekommst, kann du HIER lesen.
5. Lerne einen gesunden Mut zur Lücke
Wir MSler*innen sind oft Perfektionist*innen. Wir wollen es allen recht machen, wir wollen alles perfekt machen. Wir erlauben uns keine Fehler und beurteilen uns hart, wenn doch mal einer passiert. Was da nur hilft? Radikale Selbstakzeptanz! Immer! Denk daran: Du bist krank. Du darfst auch mal einen Fehler machen (oder fünf). Die meisten Menschen achten sowieso nur auf sich und kriegen deinen „Fehler“ kaum mit. Und die Welt wird davon sicherlich auch nicht untergehen, das tut sie nämlich nie.
6. Erlerne Methoden zur Stressreduktion
Stressreduktion ist ein ganz, ganz wichtiges Schlagwort im Umgang mit der MS. Denn Fehler, wie in Punkt 5, passieren. Oder dass uns jemand doof kommt. Oder dass Dinge passieren, die uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Was da hilft, nicht die Haftung zu verlieren: Methoden zur Stressreduktion. Was auch immer dir hilft, ist gut! Probiere aus was für dich passt: Meditation, Yoga, Basteln, progressive Museklentspannung, Mandala malen, Tagträumen, Atemübungen… Alles ist erlaubt, und für alles gibt es mittlerweile kostenfreie Angebote auf YouTube. Wenn du tiefer ins Thema Achtsamkeit einsteigen willst, dann kann ich dir auch meinen wunderbaren Kurs „Mindful mit MS“ ans Herz legen, indem du viele solcher Techniken erlernst.
7. Bleibe in deinem Leben mit MS in Bewegung
Dass Menschen mit MS sich generell schonen sollen, ist eine alte – eine zum Glück veraltete Annahme. Es ist absolut wichtig, dass du dich im Rahmen deiner Möglichkeiten bewegst. Wusstest du, dass ein gesundes Muskelgerüst dabei helfen kann, dich von Schüben schneller wieder zu erholen? Jawohl! Deswegen ist ein körperliches, regelmäßiges Training so wichtig. Das kann auch einfach bedeuten, dass du mehr zu Fuß gehst oder das Fahrrad nimmst. Dass du in deinem Rolli Hantelträining machst. Dass du an deinem Rollator Übungen zur Kräftigung machst. Dass du die Treppen gehst statt den Aufzug zu nehmen. Alles, was dich beweglich hält, ist von Vorteil und hilft dabei, dass du dich augenblicklich besser und auch entspannter fühlst.
8. Investiere in dich selbst
Und diese Investition kann zeitlicher als auch monetärer Natur sein. Ganz ehrlich: Wir geben so viel Geld für Sachen aus, die wir nicht brauchen. Klamotten. Kosmetik. Autos. Wohneinrichtung. Dabei liefen wir vor diesen Investitionen weder nackt rum noch schliefen wir in einem leeren Raum ohne Möbel, soll heißen: Dabei brauchen wir diese Dinge nicht unbedingt. Und auch unsere Zeit investieren wir meistens nicht allzu weise: Wir schauen fernsehen und Netflix. Stundenlang. Wir streiten mit unserem Partner, wir daddeln am Handy rum. Ich sage: Setz dir selbst ein Stoppschild und nimm dein Leben mit MS mit gezielten Investitionen ein Stückweit selbst in die Hand. Das kann eine Massagerolle sein, die deinem Wohlbefinden dient. Eine besondere Traumatherapie, die dir dabei hilft endlich weniger Stress zu empfinden. Blackout Vorhänge, die es endlich so dunkel machen dass du gut schlafen kannst. Eine Klimaanlage, damit dich Uthoff im Sommer nicht so quält. Du DARFST das! Spare an den richtigen Stellen und investiere an den richtigen Stehen. Auch, wenn diese Investitionen nur dir und keiner anderen Person dienen. Das ist okay.
9. Beginne in Lösungen, nicht in Problemen zu denken
„In Lösungen statt in Probleme denken“ – das war ein Satz, der für mich ganz am Anfang meiner Selbständigkeit, meiner Karriere als Autorin und Bloggerin und meiner Agenturgründung stand. Oftmals tendieren wir dazu, nur das zu sehen was nicht geht. Völlig normal, I get it. Aber: Damit kommst du leider nicht weiter, zumindest nicht langfristig. Du wirst dich so nur selbst herunterziehen. Fakt ist: irgendwie gehts immer. Oder wenn Plan A nicht geht, dann eben Plan B oder C. Verlagere deinen Blick und richte ihn auf deine Ressourcen. Auf das was du kannst. Auf das, was du neues gelernt hast. Auf das Wachstum, das die MS nun mal mit sich bringt (zwangsläufig). Deine MS macht auch, dass du resilienter bist. Dass du dich besser kennenlernst. Dass du Strake entwickelst. Das ist nicht nichts, das kann du für dich einsetzen!
10. Frag nach Hilfe
Nach Hilfe Fragen ist so ein Thema… ganz ehrlich: Ich bin auch nicht sehr gut darin. Aber: Es ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Es wird mit jedem mal leichter. Mit jedem Mal merkst du mehr, dass die Welt wirklich und wahrhaftig nicht untergeht, wenn wir etwas nicht selbst machen sondern an einen andren Menschen abgeben (oder es einfach liegenlassen, wahlweise). Du bist krank, und du darfst Hilfe in Anspruch nehmen. Sei es professionelle Hilfe oder Hilfe von Freund*innen und Verwandten. Ja, das kostet Mut. Aber wenn du es ein paar Mal gemacht hast wirst du merken, dass es auch viel Kraft gibt zu wissen, dass du nicht allein bist.
11. Plane Pausen ein
In deinem Leben mit MS sollten Pausen immer eine Rolle spielen. Und zwar am besten fest vorher eingeplante Pausen! Es ist so, dass viele Menschen mit MS mehr oder weniger große Teile ihrer Belastbarkeit einbüßen. Ja, sogar recht fitte MSler*innen wie ich. Auf ich schaffe keine 10 Stunden Schichten mehr, auch ich schaffe es nicht mehr alleine, mehrere Kisten von A nach B zu räumen. Gerade bin ich aus dem Ausland wieder gekommen und muss eigentlich ganz viele Sachen aus dem Keller in meine Wohnung im 4. Stock schleppen. Wie ich das mache? Mit Pausen. Und zwar 24 Stunden lange Pausen 😉 Ich teile mir die Arbeit auf und trage jede Tag nur eine Kiste hoch. So schaffe ich das. Ich plane Pausen ein danach, lege mir keine Termine in die Stunden nach dem Tragen, damit ich mich ausruhen kann. Ebensolche Sachen: Planung, Verschiebung, Aufteilung von Aufgaben – das kann dein Leben mit MS wirklich erleichtern.
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Haben meine Hacks dir gefallen? Was sind weitere generelle Tipps, du die Menschen mit MS geben würdest? Was hilft dir in deinem Alltag? Her damit, hinterlass gerne einen Kommentar!
Coverbild by Anna Shvetz
Hey Samira, danke für deine tollen Anregungen. Ich bin seit 12 Jahren Schmerzpatientin und jetzt kam auch noch die Diagnose MS hinzu. Vieles von dem was du schreibst kenne ich, insbesondere die Achtsamkeitssache. Pausen machen ist noch so ein Problem, aber eins das ich langsam aber sicher gut in den Griff bekomme. Meine Hündin Bailey hilft mir dabei. Sie ist mein Spiegelbild. Ich denke wir können aus unseren Haustieren nicht nur Trost finden, sondern auch einen achtsamen Umgang erlernen, wenn wir nur richtig zuhören. Bailey zeigt mir wenn wir umdrehen sollten auf einem Spaziergang, wenn ich schlafen sollte etc.. Ich bin grade am überlegen ein entsprechendes Seminar zu entwickeln bei dem ich lerne was mir mein Haustier sagt, klingt albern, aber stell dir das mal vor. Wie verlässlich das wäre? Ich genieße es jedenfalls nicht immer Detektiv zu sein.
Wäre schön in Kontakt zu kommen, Annika
Ich finde das klingt nach einer guten Idee 🙂